Die Meinung „Speed is King“ (auf Deutsch ganz frei übersetzt: „Je höher die Pfeilgeschwindigkeit, desto besser“) scheint in weiten Teilen unseres Traditionellen Bogensports immer mehr Einzug zu halten.
Gerade wir merken das sehr stark, da wir natürlich im Laden und über unsere Social-Media-Kanäle sehr stark im Austausch mit Kunden und Interessenten stehen.
Folgende Trends beobachte ich hier seit einiger Zeit:
- Kunden wollen verstärkt leichtere Pfeile schießen und achten sehr auf die grains per pound des Pfeil-Bogen-Systems
- Niedrigere Spitzengewichte (< 100 gr.) werden bevorzugt bzw. das Spitzengewicht wird gerne reduziert, um einen Spinewert weicher schießen zu können, was doppelte Gewichtseinsparung am Pfeil bedeutet
- Interessenten fragen gerade bei neuen Bögen nach den möglichen Pfeilgeschwindigkeiten, die erreicht werden.
- Der Wunsch Befiederungsgröße und Sehnenstrangzahl zu reduzieren, um Gewicht und Luftwiderstand zu reduzieren ist klar wahrnehmbar.
- Wir hören unter Bogenschützen immer wieder die Frage nach der Lage des jeweiligen „Nullpunkts“ des anderen.
Doch woher kommt dieser Hang zur Ansicht, dass leichter und schneller immer besser sein muss? Und vor allem: Stimmt das überhaupt?
Warum eine hohe Pfeilgeschwindigkeit grundsätzlich positiv ist
Nachdem der Pfeil vom Bogen abgeschossen wurde, verhält er sich im wesentlichen wie jedes andere Objekt mit einer Masse m, das mit einer bestimmten Geschwindigkeit v0 in einem bestimmten Abschusswindel α abgeschossen wird.
Er beschreibt eine klassische ballistische Flugbahn, indem er zunächst aufsteigt, dann seinen Hochpunkt erreicht und von da ab in den Sinkflug kommt und irgendwann wieder auf der ursprünglichen Abschusshöhe ankommt.
Beim Bogenschießen verändern wir die Flugbahn des Pfeils in Abhängigkeit von der Entfernung des Ziels dadurch, dass wir den Abschusswinkel des Pfeils durch „Zielen“ und Anheben des Bogenarms anpassen. Egal ob mit Visier, sonstiger Zieltechnik oder Instinktiv. Je genauer wir die Entfernung kennen und je genauer wir unser Visier/Bogenarm einstellen können, desto genauer werden wir das Ziel treffen.
Zwei Punkte sind hier jedoch kritisch und fehleranfällig:
- Exakte Ermittlung der Entfernung zum Ziel
- Exaktes „Zielen“ entsprechend der Entfernung
Exakte Entfernungen kennen wir im Bogensport leider nur vom Scheibenschießen und in der markierten Runde beim Feldbogenschießen. Beim 3D-Bogenschießen sind Entfernungen grundsätzlich unbekannt und dürfen nach den meisten Regelwerken auch nicht mittels eines Entfernungsmessers ermittelt werden. Hier haben wir also das Problem, dass wir uns sehr leicht in der Entfernung verschätzen können und dann falsch Zielen.
Als Instinktive Bogenschützen haben wir grundsätzlich ein doppeltes Problem. Weder nützt es uns Entfernungen zu kennen (denn wir müssen ja kein Visier einstellen oder Zielsystem anpassen), noch können wir überhaupt irgendwie zielen. Den richtigen Abschusswinkel zu erwischen ist also unter Umständen ungemein schwieriger und Hoch- oder Tiefschüsse sind sehr viel wahrscheinlicher.
Betrachten wir nun einmal die Flugbahnen und die benötigten Abschusswinkel, um Ziele in einen Entfernungsbereich von 10 bis 60 Meter mit einer bestimmten Bogen-Pfeil-Kombination zu treffen:
Kurzer Hinweis: Die nachfolgenden Daten über Abschusswinkel und Flugbahnen wurden mittels eines Modellrechners zu Ermittlung ballistischer Flugbahnen unter Beachtung des Luftwiderstands errechnet und sind daher natürlich nur Näherungswerte, die jedoch nach kritischer Betrachtung der Realität sehr nahe kommen. Die Bogen- und Pfeilwerte sind echte, gemessene Werte.
Distanz | Abschusswinkel |
---|---|
10 m | 1,15 Grad |
20 m | 2,30 Grad |
30 m | 3,55 Grad |
40 m | 4,80 Grad |
50 m | 6,10 Grad |
60 m | 7,45 Grad |
Der Abschusswinkel variiert in diesem Beispiel zwischen 1,15° bei 10m und 7,45° bei 60m. Wir haben also einen Bereich von 6,30° in dem wir uns bewegen. Wenn man zielt und sich um 5 Meter verschätzt, dann bedeutet das folgende Höhen-Trefferabweichungen zum Zielpunkt:
Distanz | Höhenabweichung |
---|---|
10 m | +/- 10 cm |
20 m | +/- 21 cm |
30 m | +/- 33 cm |
40 m | +/- 45 cm |
50 m | +/- 56 cm |
60 m | +/- 70 cm |
Wie kann man diesen Bereich der Abschusswinkel verkleinern, sodass Fehler in der Entfernungsschätzung oder Zielfehler weniger Auswirkungen haben?
Dies geht nur, indem wir die Flugbahn unseres Pfeils durch Anpassung der Parameter Masse und Abschuss-/Fluggeschwindigkeit verändern.
- Erhöht man die Abschussgeschwindigkeit (während die anderen Parameter gleich bleiben, z.B. durch Reduktion des Sehnengewichts oder Verringerung der Standhöhe), fliegt der Pfeil weiter.
- Verringert man das Gewicht des Pfeils (während die anderen Parameter wiederum gleich bleiben, z.B. durch Wahl eines anderen Pfeilschafts / Pfeilsetup), fliegt der Pfeil ebenfalls weiter.
Das oben gewählte Beispiel stammt von einem 30 lb. Bogen, der einen 390 gr. (ca. 25g) schweren Holzpfeil mit 165 fps. (feet per second, engl. Fuß pro Sekunde) abschießt.
Wenn der gleiche Bogen nun einen Carbonpfeil mit 235 gr. schießt, erreicht er eine Pfeilabschussgeschwindigkeit von etwa 200 fps. und es ergeben sich dazu im Vergleich folgende Flugbahnen und Abschusswinkel:
Distanz | Abschusswinkel |
---|---|
10 m | 0,80 Grad |
20 m | 1,55 Grad |
30 m | 2,35 Grad |
40 m | 3,20 Grad |
50 m | 4,05 Grad |
60 m | 4,95 Grad |
Der Bereich des Abschusswinkels beträgt nun nur noch 4,15 Grad. Die Flugbahnen sind deutlich flacher geworden.
Wenn wir nun die Höhentrefferlage beim Verschätzen um 5 Meter beider Bogen-Pfeil-Kombinationen betrachten, dann sehen wir, dass die Abweichung zum Zielpunkt bei der schnelleren Pfeil-Bogen-Kombination vor allem ab 40 Metern Entfernung deutlich geringer ist. Die Wahrscheinlichkeit noch zu treffen ist hier also trotz des Fehlers beim Verschätzen höher.
Distanz | schwerer / langsamer Pfeil | leichter / schneller Pfeil |
---|---|---|
30 m | +/- 33 cm | +/- 22 cm |
40 m | +/- 45 cm | +/- 29 cm |
50 m | +/- 56 cm | +/- 37 cm |
60 m | +/- 70 cm | +/- 46 cm |
Und genau diesen Effekt kann man sich durch eine Wahl eines Pfeils, der schnell und leicht ist, zunutze machen!
MERKE: Je schneller und leichter der Pfeil, desto weniger wirken sich Fehler bei der Entfernungswahrnehmung aus!
Flache Ballistik kontra Trefferpräzision
Wie so oft im Bogenschießen kann man sich nicht eine Sache zunutze machen, ohne an anderer Stelle im Zweifel Zugeständnisse machen zu müssen! Denn wenn man aufgrund der oben genannten Erkenntnisse jetzt grundsätzlich davon ausgeht, dass der leichteste zu kaufende Pfeil, der zum Bogen und Schützen passt und der schnellste Bogen die beste Wahl sind, irrt man.
Je weniger Masse ein Pfeil hat, desto leichter lässt er sich durch äußere Kräfte in seiner Bewegung beeinflussen (Stichwort: Masseträgheit). Und je stärker er beeinflusst wird, desto mehr kommt er von der idealen Flugbahn, die zum perfekten Treffer führt, ab.
Solche äußeren Einflüsse können Fehler durch den Schützen (Verreißen des Bogenarms und Lösefehler), Wind, Zweige etc. sein, die den Flug des Pfeils empfindlich stören.
Insbesondere ein durch einen kleinen Fehler des Schützen nur minimal schräg fliegender, leichter Pfeil hat einen wesentlich höheren Luftwiderstand, der ihn bremst. Der Luftwiderstand nimmt mit zunehmender Geschwindigkeit ohnehin schon überproportional zu, was in diesem Fall doppelt negative Auswirkungen hat.
Ein schwererer Pfeil wäre aufgrund seiner Masseträgheit bei einem geringen Fehler möglicherweise gar nicht erst schräg aus dem Bogen herausgeflogen und hätte seine reguläre Flugbahn einfach zurückgelegt, als sei nichts gewesen.
Es gilt also einen Kompromiss zu finden zwischen Präzision und Fehlerverzeihlichkeit auf der einen Seite und flacher Ballistik zur Vermeidung von Treffer-Höhenabweichungen auf der anderen Seite. Dies schafft man z.B. indem man das Pfeilgewicht nur bedingt reduziert und eher an der Effizienz des Systems Bogen-Pfeil Verbesserungen vornimmt.
Merke: Willst du Präzision brauchst du Gewicht, willst du eine flache Balistik und bei leichten Fehlern mehr Streuung, wähle einen leichten Pfeil.
Verwendung eines effizienteren Bogen-Pfeil-Systems
Um bereits mit der größtmöglichen Pfeilgeschwindigkeit bei einem gegebenen Pfeilgewicht zu starten, kann man das Bogen-Pfeil-System so tunen, dass es möglichst effizient die im Bogen gespeicherte potentielle Energie auf den Pfeil überträgt.
In aller erster Linie ist hierfür natürlich die Qualität des Bogens entscheidend und wie der Bogenbauer die Wurfarme ausgestaltet hat, um eine möglichst „verlustfreie“ Übertragung der Energie zu gewährleisten.
Aber natürlich ist bei einem bestehenden Bogen nicht der Wechsel auf einen neuen Bogen der „Königsweg“, sondern Tuning. (Bei einer ineffizienten „Krücke“ wäre jedoch ein Wechsel unter Umständen angezeigt, denn hier hilft auch Tuning nichts!)
Um die Effizienz des Bogens minimal zu erhöhen kann man das Gewicht der Sehne verringern (anderes Material, keine Silencer, kürzere Mittenwicklung, weniger Stränge) oder versuchen durch Anpassen der Standhöhe das Maximum an Energie aus dem Bogen herauszuholen.
Schnellere Stabilisierung des Pfeilflugs durch höheren F.O.C.
Unabhängig vom Pfeilgewicht als solchem, kann man auch die Lage des Schwerpunktes im Verhältnis zur geometrischen Mitte des Pfeils (sog. FOC, Front-Of-Center) durch die Wahl des richtigen Verhältnis von Schaftgewicht, Schaftlänge und Spitzen/Insert-Gewicht beeinflussen und sich positive Effekte dadurch zunutze machen.
Aerodynamisch betrachtet, neigt ein Pfeil, dessen Schwerpunkt vor seinem aerodynamischen Neutralpunkt liegt, immer dazu, in Richtung Spitze zu kippen. Das durch die Schwerpunktlage entstehende Nickmoment führt zu mehr Luftwiderstand, der umso größer ist je höher der F.O.C. ist. Das verleitet einige dazu hohe F.O.C.-Werte zu meiden. Der Effekt ist aber minimal!
Viel entscheidender ist aber daneben, dass ein Pfeil aufgrund der durch die oszillierende Bewegung größeren Luftwiderstandsfläche und das korrigierende Eingreifen der Federn beim Abschuss abgebremst wird. Diese Bremsung ist nicht zu vernachlässigen!
Ein hoher F.O.C. (i.d.R. schwere Spitze-Insert-Kombination) kann dafür sorgen, dass der Pfeil schneller stabil und präzise fliegt. Weniger Schwingungen, bedeutet weniger Luftwiderstand und damit höhere Geschwindigkeit bei gleichem Gewicht. Zudem erlaubt ein höherer F.O.C. zugleich auch eine Wahl kleinerer Federn am Heck des Pfeils, weil die „Führung / Leitung des Pfeils“ durch die Spitze übernommen wird. Durch weniger Federn wird der Pfeil ebenfalls weniger gebremst.
Merke: Ein höherer F.O.C. lässt den Pfeil präziser und schneller fliegen, solange das Pfeilgewicht gleich bleibt oder nur minimal steigt.
Speed oder Präzision – Für was soll ich mich jetzt entscheiden?
Du kennst jetzt zwar die Grundprinzipien, die bei den Überlegungen zu Pfeilgewicht, Pfeilgeschwindigkeit, Luftwiderstand, FOC dahinterstehen, aber was ist nun der richtige Weg für dich?
Richtig: Es kommt drauf an! Und zwar darauf, was du eigentlich genau mit Pfeil und Bogen anstellst.
Fall 1:
Wenn du hauptsächlich auf Parcours unterwegs bist und kaum Turniere schießt bzw. allenfalls Meisterschaften im 3D-Bogenschießen des DSB (nach WA-Regeln), dann benötigst du keinen mega-schnellen Pfeil! Die maximale Distanz nach WA beträgt 30m für die Instinktivbogenklasse und die Langbogenklasse. Zudem wird hier das Kill in drei Zonen unterteilt, die unterschiedlich bewertet werden. Es ist also Präzision gefragt und die Ballistik ist weitestgehend irrelevant. Ein etwas schwererer Pfeil 8-10 gpp. und ein FOC von um oder leicht über 15% ist hier meine Empfehlung.
Fall 2:
Wenn du Anfänger bist und weißt, dass du noch viele Technikfehler machst, dann kommt dir ebenfalls ein schwererer Pfeil zugute. Die vorangestellte Empfehlung gilt dann auch für dich.
Fall 3:
Falls du viele Turniere mitschießt, deine Schießtechnik nahezu perfekt ist und auf den Turnieren und Meisterschaften viele Ziele auf mehr als 40m Entfernung stehen, dann ist ein leichterer Pfeil für dich die bessere Wahl. Ich empfehle dir dann 7-8 gpp. und einen FOC im Bereich 8-12%. Du solltest jedoch mit Bedacht an die Sache herangehen und den Pfeil so wählen, dass die Balistik gerade noch akzeptabel ist, der Pfeil jedoch so Fehlerverzeihend wie möglich.
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Daniel Goll
Bereits vor über 20 Jahren entdeckte er das Traditionelle Bogenschießen für sich und hat bei zahlreichen Turnieren und Meisterschaften geschossen. Über die Jahre hinweg hat er viele Bogenschützinnen und Bogenschützen bei ihrem Einstieg in das Bogenschießen und dem Erlernen der instinktiven Zieltechnik unterstützt.